+++Interview+++ Merz wurde verschiedentlich als der „Unvermeidbare“ oder gar der „Unverwüstliche“ bezeichnet. Ich würde ihn eher den „Verspäteten“ nennen. Er ist ein Politiker des klassischen bundesdeutschen Parteiensystems. Wäre er früher zum Zuge gekommen, hätte er wohl mit „seiner“ Union und der FDP einen Großteil seines Programms umsetzen können.
Das war der Tenor meiner Ausführungen zum Geburtstag des Kanzlers gegenüber dem WDR in einem Beitrag für die Aktuelle Stunde; eine kurze Sequenz daraus fand Eingang in die Sendung (hier). Ausführlicher habe ich meine Gedanken in zwei Reuters-Artikeln dargelegt (hier und hier). Noch zwei weitere Bemerkungen zum Thema „verspätet“:
Als wirtschaftsliberaler Vordenker („Leipziger“) und bürgerlich-konservativer Vorkämpfer („Leitkultur“) konnte er in der Union viele Anhänger hinter sich versammeln – nicht zuletzt dank seiner pointierten Rhetorik. Heute jedoch hat er es mit einer deutlich geschrumpften demokratischen Mitte zu tun und muss – in Merkel’scher Manier – lagerübergreifend moderieren. Dafür ist sein politisches Talent weniger geeignet.
Zwar kann sich in der Politik vieles von jetzt auf gleich ändern. Allerdings ist die Unbeliebtheit von Merz mittlerweile eine erhebliche Bürde. Sie verengt sein Handlungsfeld innerhalb der Koalition. Denkbar ist, dass es ihm noch gelingt, als Reformkanzler in die Geschichte einzugehen – die aktuellen Herausforderungen verlangen in der Tat nach einer reformmutigen Regierung. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass er als Übergangsfigur in Erinnerung bleibt: als ein Kanzler, der zu spät kam, um wirklich zu prägen.